Sonntag, 17. Juni 2012

Von Sierra Leone über Guinea in den Senegal


Wie angekündigt, ging es von Freetown Richtung Süden, um die Freetown Penninsula zu umrunden. Diese Umrundung der Halbinsel dauerte aber nicht lange. Denn, nach einer kurzen, aber atemberaubenden Autofahrt zwischen sierra leonischem Primärwald und malerischen Stränden, fällte ich die Entscheidung, dass es doch noch nicht Zeit sei, mich Richtung guineische Grenze zu begeben, dafür aber noch ein wenig auf der Penninsula zu verweilen. Nach dem Zufallsprinzip wurde das kleine Fischerdorf Tokeh ausgewählt, das in Nord-Süd-Richtung zwischen zwei Flüssen, mit den einfallsreichen Namen "River N°1" und "River N°2", und in Ost-West-Richtung zwischen Regenwald und der Atlantikküste eingebettet ist.

Der Fischerstrand von Tokeh mit den Regenwaldhügeln im Hintergrund
Graureiher (Ardea cinerea), Küstenreiher (Egretta gularis), Brandseeschwalben (Sterna sandvicensis) und Königseeschwalben (Sterna maxima) an der Einmündung des River N°1 in den Atlantik
Ein lukrativer Nebenverdienst für die Fischerdörfer auf der Freetown Penninsula, immerhin muss eine Großstadt wie Freetown mit entsprechenden Rauschkräutern versorgt werden.
In Tokeh verbrachte ich also nochmals zwei ruhige Strandtage bei richtig gutem Essen (frischer Fisch!). Nach diesen zwei Tagen entschied ich mich aber dann doch die Halbinselumrundung abzuschließen und erreichte somit Waterloo, von wo aus die Straße fast direkt nach Norden führte: Masiaka, Lunsar, Makeni und Kabala. Von Kabala ging es dann auf schwierigem Terrain nach Falaba und von dort mitten durchs Nirgendwo in das sierra leonische Grenzdorf Koindu-Kura. Die Ausreise verlief sehr reibungslos bis auf die Tatsache, dass der Zöllner es einfach nicht fassen konnte, dass ein Weißer, ganz alleine, seinen Grenzübergang finden konnte. In Herémakano, dem guineischen Grenzdorf waren hingegen wieder bedeutend mehr Diskussionen und Feilschen angesagt. Während ich Gendarmerie und Einwanderungspolizei davon überzeugte, dass ich kein Geld zu bezahlen hatte, war der Besuch bei den Zöllnern alles andere als einfach. Ich erklärte, wie nun schon mehrere Male seit meiner Abreise aus Gabun, dass ich einen Passagierschein für mein Auto bräuchte. Daraufhin nahm der Chefzöllner ein Blatt Papier und begann ein solches Dokument auszuformulieren. Ich war mir dessen bewusst, dass mich dieses handgeschriebene Dokument viel Geld kosten würde aber gleichzeitig an keiner Polizei- oder Militärkontrolle in Guinea akzeptiert werden würde. Also nahm ich allen Mut zusammen und wies den Herrn Zöllner daraufhin, dass dieses Dokument nicht ausreichend sei und ich davon ausgehe, dass ich das richtige Dokument erst auf dem Zollamt in Faranah, der nächstgelegenen Stadt, organisieren könne. Ich ging eigentlich davon aus, dass die Situation aufgrund meines Hinweises, dass das soeben fabrizierte Zolldokument wertlos sei, ausarten würde, immerhin erklärte der Nichtwissende dem Chef wie die ganze Sache abzulaufen hat. Aber im Gegenteil, der Zöllner gab mir recht und wünschte mir eine gute Weiterreise. Leider waren in der Zwischenzeit auch der Gendarm und der Einwanderungspolizist eingetroffen, die zwar zuvor akzeptiert hatten, dass es von mir kein Geld gibt, deswegen aber nicht von dieser Entscheidung überzeugt waren, geschweige denn glücklich darüber waren. Und, in dem Moment, als mich der Chefzöllner entließ, wurde eben diesem von links und von rechts zugeflüstert. Ich gehe mal davon aus, dass aufgrund dieses Zuflüsterns, mir, der schon auf der Schwelle stand, zugerufen wurde: "Und was führen sie denn alles im Auto mit?". Ich schloss kurz die Augen, dachte nur "Bitte nicht", atmete kurz durch und antwortete ganz höflich: "Wasser, Kleidung, Reservereifen und Dieselkanister". Ich hatte ja schon einige Zollkontrollen hinter mir, bei denen bisher der/die Zöllner aber immer zum Auto kam/en, ich die diversen Taschen und Boxen kurz öffnete und erklärte, was sich wo befindet. Noch keine einzige Zollkontrolle dauerte mehr als 15 Minuten. Der Zöllner an der guineischen Grenze hingegen bestand darauf, dass ich alles ins Zollamt zu tragen hätte, damit er dort die Inspektion vornehmen könnte. Zu den beiden Jungzöllnern, die mich zum Auto begleiteten, meinte ich nur, dass ich meinen 40 Liter Wasserkanister und meine 60 Liter Diesel ganz sicher nicht ins Zollamt tragen würde. Ich entschied mich also für zwei Taschen mit Kleidung und einem "Plastiksackerl" mit Mangos, Nudeln und Keksen. Den Trick mit der Kleidung hatte ich als Student gelernt, der regelmäßig bei seinen Zugfahrten von Innsbruck nach Hause Drogenkontrollen über sich ergehen lassen durfte. Mit genügend Dreckwäsche im Gepäck wurden die Kontrollen immer recht kurz gehalten. In diesem Fall konnte ich auf Wäsche zurückgreifen, die den westafrikanischen Regenwald in der Regenzeit kennengelernt hatte. Als ich also gebeten wurde den Tascheninhalt zu präsentieren, entleerte ich diesen auf den Arbeitstisch des Chefzöllners. Auf meinen Hinweis, dass auch in der zweiten Tasche noch Kleidungsstücke wären, wurde nur noch Mit Kopfschütteln reagiert. Der Gendarm entdeckte dann aber noch einen zusätzlichen Reißverschluss auf meinem großen Wanderrucksack und bat darum diesen zu öffnen. Als der Chefzöllner meine Stirnlampe sah, bemerkte er nur kurz: "Die will ich!". Ich hatte diese Taschenlampe schon seit Monaten nicht mehr benutzt, da zweimal die Batterien ausgelaufen sind und dadurch die Kontakte - trotz Reinigung - nicht mehr wirklich funktionierten. Ich willigte ein, diese Stirnlampe an den Chefzöllner zu übergeben unter der Bedingung, dass die Begutachtung meiner Habseligkeiten damit beendet sei und auch von Gendarmerie und Einwanderungspolizei keine weiteren Anfragen gestellt würden. Damit ging die Reise weiter, vorerst nach Faranah. Faranah ist die Heimatstadt des ersten guineischen Präsidenten (oder Diktators?) Ahmed Sékou Touré. Deshalb ging ich davon aus, dass ich in Faranah problemlos zu Geld kommen würde (Stichwort: Geldautomat), denn normalerweise zeichnen sich die Geburtsorte von afrikanischen Präsidenten durch ein gewaltiges Mehr an Infrastruktur aus. Dem war dann aber nicht so; was wiederum bedeutete, dass ich mit 500 Guinea Franc, also umgerechnet 5 Eurocent in der Tasche versuchen musste zu Geld zu kommen und in Faranah zu "überleben". Und in genau solchen Situationen kannst du Afrika nur lieben. Auf der Zollbehörde wurde mir mein Passagierschein fürs Auto ausgestellt, mit der Bemerkung, dass ich einfach wieder vorbeischauen soll, sobald ich zu Geld gekommen bin, um die Gebühr für das Autodokument zu entrichten. Auf dem Markt wurde ich über vier Tage gratis von den "Mamans" verköstigt, die sich natürlich sehr darüber amüsierten, dass ein Weißer kein Geld hat. Im "Callcenter" wurde immer Geld für mich gesammelt, damit ich meine Eltern anrufen konnte, um eine Geldüberweisung zu organisieren. Selbst die Betreiber meiner Herberge hatten kein Problem damit, dass ich Tag für Tag mit derselben Floskel antanzte und sie auf den nächsten Tag vertröstete. Natürlich hatte ich am Ende alle meine Schulden in Faranah getilgt. Es war aber schön diese Hilfsbereitschaft zu erleben. Mit nun wieder mehr als 500 Guinea Franc in der Tasche brach ich auf, um die Nigerquelle zu suchen. Dafür ging es Richtung Südosten über Tiro in das Dorf Banbaya.

Blick auf die Nigerquellregion
Von Banbaya waren es noch ca. 25 Kilometer zur Nigerquelle, aber ich sollte dort nie ankommen. Denn am Dorfausgang von Banbaya gab es eine Militärkontrolle, an der ich nicht vorbeikam. Natürlich ging es wieder darum, dass ich mich weigerte Geld zu bezahlen, damit mich das Militär passieren lässt. Die Situation artete so aus, dass man sich gegenseitig beschimpfte - ich hatte in Gabun glücklicherweise genug "primitives Französisch" gelernt, um in dieser niveaulosen Diskussion locker mitzuhalten. All meine Beschimpfungen zeigten keine Wirkung, bis zu jenem Zeitpunkt, als ich anbot den Chef der Gruppe wegen Korruption vor das Gericht in Faranah zu zerren. Dann wurde es plötzlich ruhig und zu meiner Verwunderung wurde ab dann versucht zu schlichten und eine weitere Eskalation zu verhindern. Die Militärs boten mir dann sogar an zu passieren. Ich war mir aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sicher, ob dies eine gute Idee sei, da ich nach der Nigerquellenbesichtigung wieder an derselben Kontrolle vorbei müsste. Die Militärs hätten aber inzwischen zwei Tage Zeit, in denen sie nichts anderes zu tun hätten als sich neue Schikanen und vor allem eine entsprechende Retourkutsche zu überlegen. Folglich entschied ich mich umzudrehen und fuhr zurück nach Faranah.
Ich hatte für meine Reise durch Westafrika nur zwei Fixpunkte eingeplant; alles andere ließ ich offen. Beide Fixpunkte (Mount Cameroon und die Nigerquelle) schaffte ich nicht, was aber schlussendlich nichts an der Qualität meiner Reise geändert hat. Außerdem fiel mir auf, dass ich mehr und mehr Probleme mit Polizei, Zoll und Militär hatte, was wahrscheinlich zwei Gründe hat. Erstens ist die Freundlichkeit dieser Herren in Guinea oder Liberia nicht mit jener in Benin oder Ghana zu vergleichen und zweitens bin ich nach so vielen Monaten einfach schon ein wenig genervt, immer wieder die ewig gleichen stupiden Diskussionen zu führen - eine Erkenntnis, die meinen Aufenthalt in Guinea eher kurz halten sollte, und das obwohl ich alle nicht-offiziellen Kontakte in Guinea sehr genossen hatte. Von Faranah ging es dann nach Sidakoro, jenes Dorf von dem aus der Nationalpark Haut Niger betreten werden kann. Als ich dort ankam, war ich wirklich erstaunt. Am Parkeingang befand sich eine riesige Anlage mit ca. 40 Häusern (Unterkünfte für Touristen und Personal sowie Administrationsgebäude), die, soweit ich das recherchieren konnte, von der Europäischen Union finanziert wurde. Dass die Anlage sehr ungepflegt war und die Hausfassaden mehr aus Spinnweben als aus Verputz bestanden, ließ nichts Gutes ahnen. Mein Plan war, auf jeden Fall zwei Tage im Park zu verbringen und dafür machte ich mich auf die Suche nach einem Parkführer. Ein solcher war aber nicht zu finden, weshalb ich mich selbst auf den Weg machte. Ich hatte eine wunderschöne Wanderung im Nationalpark, mit einem kleinen Schreckmoment - für uns beide. Ich stand weniger als einen Meter entfernt von einem imposanten Nilwaran, mit ein wenig mehr als ein Meter Körperlänge. Mein Kopf war aber nach oben gerichtet, auf der Suche nach Affen und Vögel. Ich nahm den Waran also erst wahr, als dieser sich entschied zu flüchten. Naja und wenn so ein Monster sich direkt neben dir zu bewegen beginnt, bleibt einem schon mal kurz der Atem weg. Nach meinem kleinen Spaziergang durch einen kleinen Teil des Nationalparks ging ich wieder zurück zum "headquarter", in der Hoffnung einen Parkmitarbeiter zu finden. Dem war nicht so, aber ich traf auf eine "maman", die gerade von ihrer Plantage zurückkam. Obwohl mein Malinke alles andere als existent ist, konnte ich verstehen, dass der Park geschlossen sei und es verboten wäre eben diesen zu betreten.

Ein Senegalkiebitz (Vanellus senegallus) im Nationalpark Haut Niger

Ich bedauerte das sehr, freute mich aber zumindest eine kleine Wanderung unternommen zu haben und fuhr zurück nach Faranah, um von dort Richtung Mamou weiterzureisen. Obwohl ich doch ein wenig niedergeschlagen war, da weder die Nigerquelle noch der Nationalpark Haut Niger zu meiner Zufriedenheit funktionierten, hatte ich doch recht bald wieder ein Grinsen im Gesicht. Denn diese Fahrt von Faranah nach Mamou bedeutete, dass ich das Fouta Djallon betrat - neben der Grasslands in Kamerun und dem Atakora im beninisch-togolesischem Grenzland die bisher schönste Gegend meiner Reise. Ich fuhr über Dalaba und Pita nach Labé, also mitten durch das Herz des Fouta Djallon. Es war aber nicht nur die Landschaft, die mich fesselte, sondern vor allem auch die Menschen hier, die der Schönheit des Fouta Djallon um nichts nachstehen. Das Wort, das mir zu den Fulbe, den Bewohneren des Fouta Djallon einfiel, war "edel". Von Labé ging die Reise weiter nach Yambering und dann nach Mali, der höchgelegenen Ortschaft in Guinea.

Blick auf die Kleinstadt Mali am Ausgang des Fouta Djallon auf 1400 Meter gelegen
Hier konnte ich mich schon ein wenig an die Temperaturen gewöhnen, die mir dann noch in den Wüstennächten in Mauretanien und Marokko bevorstehen. Anscheinend gab es vor ein paar Jahrzehnten sogar Schneefall in Mali. Meine Abreise aus der Kleinstadt Mali Richtung Senegal sollte der Beginn eines weiteren Abenteuers werden. Von Mali ging es vorerst nach Kaouma, einem kleinen Dorf, das ich erst nach mehreren Umwegen fand. Kaouma ist zwar ein wirklich kleines Dorf mitten im Nirgendwo, gleichzeitig aber ein strategisch wichtiger Punkt, da hier die Straßen von Kédougou (Senegal), Mali und Koundara (beides wichtige Präfekturhauptstädte in Guinea) zusammenkommen. Diese Straßen als Straßen zu bezeichnen, ist ein wenig übertrieben, dennoch ist die Kreuzung in Kaouma eine sehr wichtige. Und obwohl das Dorf klein ist und die Kreuzung von Bedeutung, war es nicht so einfach diese Kreuzung zu finden. Das Problem war, dass die Straßen hier nicht mal Feldwegqualitäten hatten und im Prinzip jede Hauszufahrt, die Hauptstraße Richtung Senegal hätte sein können. Um das Ganze noch schwieriger zu gestalten, hatte es an diesem Tag heftig geregnet, was wiederum bedeutete, dass keine Menschen unterwegs waren, um nach dem Weg zu fragen. Folglich klopfte ich Kaouma an Haustüren, um rauszufinden, ob jener Feldweg, den ich für die Straße nach Senegal hielt, auch wirklich dieser war. Die ersten Personen, die ich fragte, konnten das auch sogleich bestätigen. Ich wies noch kurz darauf hin, dass es Sinn machen würde an einer solchen Kreuzung ein Schild aufzustellen. Daraufhin wurde mir geantwortet, dass es eh ein Schild gäbe. Um mich kurz von meiner Blindheit zu überzeugen, schaute ich nochmals Richtung Kreuzung, um das angesprochene Straßenschild zu finden. In diesem Moment kam aber dann auch schon der Nebensatz "aber es ist leider umgefallen" - und inzwischen unter Müll und Erde begraben. Und dann machte ich wieder einen Fehler, weil ich meinen Mund schon wieder nicht geschlossen halten konnte. Ich machte den Vorschlag, dass sie doch den Präfekten um einen Euro bitten sollen und dafür das Straßenschild wieder aufstellen könnten. Dies hatte zur Folge, dass die Menschen mich anstarrten, als hätte ich irgendein mathematisches Rätsel gelöst, an dem schon mehrere Meister der letzten Jahrhunderte gescheitert sind. Sofort wurden die Dorfältesten zusammengetrommelt, um diesen offensichtlich nicht unvernünftigen Vorschlag des Weißen, weiter zu besprechen. Ich war leider sehr unfreundlich und wohnte der weiteren Diskussion nicht bei, um mich wieder meiner Autofahrt zu widmen. Ich wusste ja, dass noch viele Kilometer vor mir lagen und ich wusste auch, dass die Qualität der Straßen sich vorerst nicht bessern würde. Die Reise ging also weiter über Lebekéré an die guineisch-senegalesische Grenze und von dort über Ségou (eine kleine senegalesische Ortschaft) nach Kédougou. Die Strecke von Mali (Guinea) nach Kédougou (Senegal) ist ein wenig mehr als 100 Kilometer lang; für die ich mehr als 10 Stunden benötigte. Dieser Abschnitt meiner Reise war der mit Abstand anstrengendste. Ein Großteil der Straße war kein Feldweg sondern führte einfach über loses Gestein, das nicht einmal mit Schritttempo bewältigt werden konnte. Zusätzlich waren die Steine und vor allem die Steinplatten aufgrund des Regens sehr rutschig. Dass dabei auch noch Gefälle von weit mehr als 10% auf diesem Untergrund zu bewältigen waren, half auch nicht wirklich weiter. Aufgrund des Regens und weil diese Autofahrt wirklich das Letzte von mir abverlangte, gibt es leider keine Fotos, obwohl die Gegend selbst wieder atemberaubend war und von einer Berg-/Hügelkette zur nächsten führte, wobei vor allem der Blick von der Spitze dieser Ketten hinunter in die Täler unbeschreiblich war. Zusätzlich gab es auch viel Flora und Fauna zu sehen - so wuselten ständig Gruppen von Guineapavianen um mein Auto rum, was das Fahren auch nicht einfacher machte. Sowohl bei der Ausreise aus Guinea als auch bei der Einreise in den Senegal gab es keine größeren Probleme. Ich gehe mal davon aus, dass man mir ansehen konnte, dass ich sowohl physisch als auch psychisch an meinen Grenzen war und deshalb keiner der Grenzbeamten mich in irgendwelche sinnlosen Diskussionen verwickelte. Außerdem brauchen Staatsbürger der Europäischen Union kein Visum für Senegal - der Grund, warum ich die guineische Hauptstadt Conakry zuvor nicht besucht hatte. Obwohl ich, wie schon erwähnt, bei meiner Ankunft in Kédougou leicht neben mir stand, bemerkte ich sofort, dass ich wieder einmal in eine neue Welt eintrat. Seit meiner Einreise nach Liberia war dies das erste Mal, dass meine Unterkunft Strom und fließendes Wasser vorzuweisen hatte. Ich glaube, ich führte mich auf, wie ein kleiner Dorfjunge, der zum ersten Mal in seinem Leben in eine größere Stadt kommt. Ich konnte es einfach nicht fassen, wie organisiert diese Stadt war und was für Infrastruktur aufgeboten wurde (siehe Wasser und Strom). Inzwischen habe ich mich ja wieder an diesen normalen Luxus gewöhnt, aber es bleibt trotzdem das Faktum stehen, dass der Senegal gleich hinter Ghana das bestentwickelte Land ist, das ich auf meiner Reise besuchte. Auch was Politik und Demokratieverständnis anbelangt ist dieses Land seinen Nachbarn meilenweit voraus (was aber auch nicht ganz so schwierig ist, wenn deine Nachbarn Guinea, Guinea-Bissau (und seit diesem Jahr leider auch wieder) Mali heißen), was sicher auch mit der Präsidentschaftswahl zu Anfang dieses Jahres zu tun hat. Diese Wahl führte dazu, dass der bisherige Präsident Abdoulaye Wade unter dem Druck der Öffentlichkeit faire Wahlen zulassen musste, um einen Bürgerkrieg zu verhindern und dass im zweiten Wahlgang eine überwältigende Mehrheit für seinen Kontrahenten Macky Sall stimmte. Ich hoffe sehr, dass Macky Sall versucht gute Politik für sein Land zu machen, denn die Voraussetzungen könnten nicht besser sein. Sein Rückhalt in der Bevölkerung ist unglaublich, was einerseits an seiner Popularität liegt, andererseits auch an dem klugen Schachzug andere beliebte Präsidentschaftskandidaten für sein Kabinett zu gewinnen. So ist zum Beispiel Youssou N'Dour neuer Minister für Kultur und Tourismus. Alleine nur um den Optimismus und die Aufbruchsstimmung, die derzeit im Senegal herrschen, mitzuerleben, war es wert dieses Land zu bereisen. Von Kédougou ging es weiter nach Dar Salam, von wo aus ich den Nationalpark Niokolo-Koba betrat. Niokolo ist einer der drei Flüsse im Nationalpark und Koba bedeutet Pferdeantilope auf Peul (Fulbe). Ich verbrachte vier wunderschöne Tage in diesem Park. Ursprünglich war der Plan, dass ich eine Nacht im Hotel Simenti, das malerisch auf einen Hügel direkt am Gambia gebaut wurde, und die restlichen Nächte im Zelt auf Außenposten verbringe. Nach meiner ersten Nacht im Zelt beschloss ich aber, dass das Zelt für die nächste Zeit keine Option mehr sein wird. Die Temperaturen in dieser Gegend lagen bei über 40 °C untertags und in der Nacht kühlte es nicht wirklich bedeutend ab. Im Hotel musste ich zumindest nicht auf der aufgeheizten Erde liegen. Was die Tiere anbelangt, war dieser Nationalpark das absolute Highlight meiner Reise. Eigentlich war es schon der vierte Tag (morgens) und ich damit auf dem Weg aus dem Nationalpark raus, als direkt neben der Straße ein Leopard lauerte. Ich konnte mein Glück kaum fassen und vor allem, dass der Leopard fast 10 Minuten sitzen blieb und überlegte, wie er auf unsere Ankunft reagieren sollte. Nach 10 Minuten entschied er sich dann leider doch „nachzugeben“ und trottete langsam davon. Ich fuhr schreiend weiter, weil ich es einfach nicht fassen konnte, dass ich einen Leoparden sehen durfte und während ich noch auf mein Lenkrad einhämmerte, überquerte blitzschnell etwas Hundeartiges die Straße. Während ich fragend ein "Schakal" artikulierte, flitzte auch schon der nächste vorbei und dann noch einer. Inzwischen war mir klar, dass die Fellfärbung nicht zu einem Schakal passte. Es waren drei Afrikanische Wildhunde, die auf der Jagd waren - soviel Glück an einem Tag! Abgesehen von den Raubtieren, ist der Nationalpark ein Paradies für Vögel. Obwohl die Regenzeit schon begonnen hatte, hatte diese noch nicht den entsprechenden Effekt auf viele der Wasserstellen. Dies bedeutete, dass aufgrund der geringen Wassermenge, die manche der Wasserstellen aufzuweisen hatten, diese bis nach oben hin mit Fisch gefüllt waren. Selbst die Adler, die auf Fischfang spezialisiert sind, wie zum Beispiel der Schreiseeadler, saßen nicht mehr auf den Bäumen an, sondern wateten wie die Reiher durch die Wasserstellen, um Fische einzusammeln. Neben den Vögeln und den Wiederkäuern, die diese Wasserstellen aufsuchten, konnte man hier eben auch die Fische beobachten, die sich aufgrund des Platz- und wahrscheinlich auch Sauerstoffmangels bis zu 30 Zentimeter aus dem Wasser katapultierten. Anbei die Liste meiner Sichtungen im Niokolo-Koba Nationalpark:

Säuger: Guineapavian (Papio papio), Husarenaffe (Erythrocebus patas), Westliche Grünmeerkatze (Cercopithecus sabaeus), Gestreiftes Borstenhörnchen (Euxerus erythropus), Graufußhörnchen (Heliosciurus gambianus), Goldschakal (Canis aureus), Afrikanischer Wildhund (Lycaon pictus), Zebramanguste (Mungos mungo), Leopard (Panthera pardus), Flusspferd (Hippopotamus amphibius), Warzenschwein (Phacochoerus africanus), Buschbock (Tragelaphus scriptus), Rotflankenducker (Cephalophus rufilatus), Bleichböckchen (Ourebia ourebi), Kob (Kobus kob), Wasserbock (Kobus ellipsiprymnus), Pferdeantilope (Hippotragus equinus).

Ein Graufußhörnchen (Heliosciurus gambianus) im Hotel Simenti
Mein erster freilebender Leopard (Panthera pardus)
Buschbockmännchen (Tragelaphus scriptus) von der Terrasse des Hotel Simenti aus fotografiert
Das Wappentier des Niokolo-Koba Nationalparks: die Pferdeantilope (Hippotragus equinus)

Vögel: Rosapelikan (Pelecanus onocrotalus), Graureiher (Ardea cinerea), Rallenreiher (Ardeola ralloides), Kuhreiher (Bubulcus ibis), Seidenreiher (Egretta garzetta), Silberreiher (Egretta alba), Hammerkopf (Scopus umbretta), Mangrovenreiher (Butorides striatus), Wollhalsstorch (Ciconia episcopus), Sattelstorch (Ephippiorhynchus senegalensis), Hagedasch (Bostrychia hagedash), Witwenpfeifgans (Dendrocygna viduata), Höckerglanzgans (Sarkidiornis melanotos), Sporngans (Plectropterus gambensis), Schreiseeadler (Haliaeetus vocifer), Palmgeier (Gypohierax angolensis), Höhlenweihe (Polyboroides typus), Gaukler (Terathopius ecaudatus), Graubürzel-Singhabicht (Melierax metabates), Heuschreckenbussard (Butastur rufipennis), Doppelspornfrankolin (Francolinus bicalcaratus), Felsenrebhuhn (Ptilopachus petrosus), Helmperlhuhn (Numida meleagris galeata), Mohrensumpfhuhn (Amaurornis flavirostris), Blaustirn-Blatthühnchen (Actophilornis africana), Kronenkranich (Balearica pavonina), Schwarzbauchtrappe (Eupodotis melanogaster), Wassertriel (Burhinus vermiculatus), Stelzenläufer (Himantopus himantopus), Krokodilwächter (Pluvianus aegyptius), Buntgoldschnepfe (Rostratula benghalensis), Spornkiebitz (Vanellus spinosus), Senegalkiebitz (Vanellus senegallus), Buschflughuhn (Pterocles quadricinctus), Guineataube (Columba guinea), Halbmondtaube (Streptopelia semitorquata), Röteltaube (Streptopelia vinacea), Palmtaube (Streptopelia senegalensis), Erzflecktäubchen (Turtur abyssinicus), Halsbandsittich (Psittacula krameri), Mohrenkopfpapagei (Poicephalus senegalus), Schwarzschwanz-Lärmvogel (Crinifer piscator), Jacobinkuckuck (Oxylophus jacobinus), Spornkuckuck (Centropus senegalensis), Zwergkönigsfischer (Ceyx pictus), Graufischer (Ceryle rudis), Graukopfliest (Halcyon leucocephala), Zwergspint (Merops pusillus), Rotkehlspint (Merops bullocki), Zimtroller (Eurystomus glaucurus), Opalracke (Coracias cyanogaster), Senegalracke (Coracias abyssinicus), Grautoko (Tockus nasutus), Rotschnabeltoko (Tockus erythrorhynchus), Nördlicher Hornrabe (Bucorvus abyssinicus), Senegalfurchenschnabel (Lybius dubius), Kleine Streifenschwalbe (Hirundo abyssinica), Graubülbül (Pycnonotus barbatus), Schuppenkopfrötel (Cossypha albicapilla), Pirolsänger (Hypergerus atriceps), Senegaldrongoschnäpper (Melaenornis edolioides), Grauschnäpper (Muscicapa striata), Weißaugendrossling (Turdoides reinwardtii), Elfennektarvogel (Cinnyris pulchellus), Goldschnabelwürger (Corvinella corvina), Goldscheitelwürger (Laniarius barbarus), Trauerdrongo (Dicrurus adsimilis), Piapia (Ptilostomus afer), Purpurglanzstar (Lamprotornis purpureus), Grünschwanzglanzstar (Lamprotornis chalybaeus), Langschwanzglanzstar (Lamprotornis caudatus), Zwergweber (Ploceus luteolus), Orangebäckchen (Estrilda melpoda), Schmetterlingsfink (Uraeginthus bengalus), Senegalamarant (Lagonosticta senegala), Mosambikgirlitz (Serinus mozambicus) und weitere Vögel (vor allem Raubvögel), die ich nicht zu bestimmen vermochte.

Witwenpfeifgänse (Dendrocygna viduata) im Mare de Simenti
Senegalracke (Coracias abyssinicus)
Ein männliches Exemplar eines Nördlichen Hornraben (Bucorvus abyssinicus)
Ein Orangebäckchen (Estrilda melpoda) auf dem Weg zum Wassertrinken

Reptilien: Nilkrokodil (Crocodylus niloticus), Siedleragame (Agama agama), Nilwaran (Varanus niloticus), Steppenwaran (Varanus exanthematicus), Tropischer Hausgecko (Hemidactylus mabouia).

Nilkrokodile (Crocodylus niloticus) am Ufer des Gambia
Ein Steppenwaran (Varanus exanthematicus), wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich dieses Tier richtig bestimmt habe.

Restlos zufrieden mit meinem Nationalparkaufenthalt ging es zurück nach Dar Salam und von dort nach Tambacounda. Von Tambacounda ging es dann noch für eine Stipvisite in die Casamance. Ich fuhr über Vélingara und Kounkané in das Dorf Medina Schérif. Der Österreichische Auslandsdienst, jener Verein über den ich 2005/2006 meinen "Zivilersatzdienst" in Gabun geleistet hatte, hat eine neue Sozialdienststelle in Medina Chérif, die den Aufbau und die Unterstützung des täglichen Betriebs einer Krankenstation vor Ort zum Ziel hat. Der Tiroler Matthias Zeilerbauer wird dort ab 1. August 2012 als erster Österreicher seinen Auslandsdienst leisten. Ich wollte eigentlich mit den Projektleitern von Hope'87, die für die Krankenstation verantwortlich zeichnen, reden. Leider war keiner von den Projektverantwortlichen vor Ort. Ich bin aber auch unangemeldet dort aufgekreuzt. Nichts desto trotz unterhielt ich mich mit dem Dorfchef, Django Balde und anderen "Notables" des Dorfes, allen voran dem Lyriker Abdourahmane Diallo, der einen Gedichtband zur politisch schon seit Jahrzehnten unruhigen Region Casamance veröffentlichte: "Les marécages de la paix".

"Réunion" in Medina Schérif mit dem Lyriker Abdourahmane Diallo (rechts von mir)

Nach einem sehr lehrreichen und unterhaltsamen Nachmittag ging es zurück nach Tambacounda und von dort über Koussanar, Koumpentoum, Koungheul, Kaffrine, Kaolack und M'bour nach Dakar. Zwischen Kaffrine und Kaolack half ich ein Auto abzuschleppen. Wie sich dann herausstellte gehörte das Auto einem gewissen Herrn Aliou, der in der Gegend viele Mikrokreditprojekte betreute. Da ich natürlich wie immer sehr interessiert an solchen Projekten war, fuhr er bei mir im Auto mit und wir unterhielten uns stundenlang über den Senegal und seine Perspektiven. Nachmittags wurde ich dann von seiner Familie zum Essen eingeladen und da ich den Großteil meiner Kleider anstatt zu tragen auch gleich in eine Mülltonne stopfen könnte, wurde ich auch noch mit neuen Klamotten eingedeckt. Denn, wie sich des Weiteren herausstellte, ist Aliou Designer mit seinem eigenen Label "Kaay Fii" und unter anderem wir Youssou N'Dour von ihm eingekleidet. Damit kann ich nun in Dakar anstatt mit meinen verdreckten Kleidungsstücken, mit hippen Designerklamotten rumlaufen. Und Dakar selbst ist eine richtig coole Stadt. Schon bei meiner Ankunft und meiner ersten Fahrt durch Dakar war ich unglaublich angetan von dieser Stadt. Ich entschied aber vorerst meinen nächsten Blogeintrag zu schreiben, bevor das große Dakar-Sightseeing beginnt. Das heißt die Details zu Dakar gibt es dann im nächsten Blogeintrag, der wahrscheinlich aus Marokko geschrieben werden wird. Von Dakar werde ich nämlich nach St. Louis und Rosso an die mauretanische Grenze fahren, von wo aus es etwa 1000 Kilometer an der Atlantikküste entlang nach Norden gehen wird. Zwischen mir und dem europäischen Kontinent liegen nach nun fast acht Monaten Autofahrt nur noch ganz viel Sand und etwas Wasser.

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